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Welche Mobilität für die Energiewende?
Es geht um die Liebe für unseren Planeten und die nächste Gene- ration“, poltert Gerald Haug, Professor an der Universität ETH Zürich und Präsident der Deutschen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Der anerkannte Klimaforscher heizt den rund 200 geladenen Gästen der Firma Thöni in Telfs in Tirol gehörig ein. Die EU-Staaten haben sich bekanntlich gesetzlich verpflichtet, unseren Kontinent bis 2050 klimaneutral zu machen und bis 2030 mindestens 55 Prozent der Treibhausgase im Vergleich zu 1990 einzusparen. Aber: „Kein Land Europas ist in der richtigen Spur, wir wandeln am Worst-case-Weg und steuern auf eine globale Erderwärmung von 4,5 bis fünf Grad zu. Das katapultiert uns 2,7 Millionen Jahre zurück in ein Szenario der pliozänen Warmzeit, als die Ozeane 20 Meter höher waren als heute. Wir müssen vor allem den Verbrennungsprozess stoppen. Noch ist es zu schaffen“, beendet Haug seinen Vortrag mit einem vorsichtig optimistischen Szenario.
Dialog. Um gemeinschaftlich die Energiewende Europas auf wissenschaftlicher Basis voranzutreiben und den Dialog zur Defossilisierung zwischen Forschung, Wirtschaft, Technik und Politik zu forcieren, wurde im Herbst 2022 der gemeinnützige Verein netER (new energy transitions European Researchassociation) ins Leben gerufen. Gründungsmitglieder sind TU-Professor Dr. Georg Brasseur (siehe Interview rechts), Biontech-Mitbegründer Christoph Huber sowie der Tiroler Industrielle Arthur Thöni. Weiters dabei sind prominente Wissenschafter wie eingangs erwähnter Gerald Haug und die Umwelthistorikerin Verena Winiwarter (Akademie der Wissenschaften Wien). Immer mehr Partner stoßen dazu, aktuell umfasst das netER-Netzwerk rund 30 Mitglieder, darunter Unternehmen wie die weltweit tätigen Adler-Lacke, Hydrocell Bozen (Wasserstofftechnologie), die Hochschule MCI, die Industriellenvereinigung Tirol sowie klingende Namen wie Hannes Androsch oder der frühere Skistar Benni Raich.
Zentraler Punkt dabei ist die Defossilisierung (statt Dekarbonisierung): Sie zielt auf die Vermeidung fossiler Kohlenstoffe als Energieträger ab. „Wir müssen hin zur Wasserstoff- und Stickstoff-Kreislaufwirtschaft“, bringt es Haug auf den Punkt. Und nennt Methan, Methanol, Ethanol, Ammoniak oder synthetische Kohlenwasserstoffe wie z. B. Synfuels als grüne Alternativen.
Laut netER konkurrieren batterieelektrisch betriebene Fahrzeuge mit der Energiewende. „Um den zusätz lichen Strombedarf von E-Autos decken zu können, müssten die 82.000 Windräder Europas (Stand 2019) auf drei Millionen aufgestockt oder die Photovoltaik-Flächen ver111-facht werden. Völlig illusorisch“, so Georg Brasseur.
Ein weiterer Ausbau der Elektromobilität bedingt also die zusätzliche Produktion von fossilem Ausgleichstrom. Das steigert nicht nur den Treibhausgasausstoß, sondern auch die Gefahr von weitreichenden Blackouts. Die netER-Experten sind sich einig: Der derzeit eingeschlagene Weg verfehlt die von der EU angepeilten Klimaziele und gefährdet die Versorgungssicherheit.
Übrigens: Der von ARBÖ und ÖAMTC gemeinsam mit unabhängigen Fachleuten erstellte Expertenbericht „Mobilität und Klimaschutz 2030“ durchleuchtet ebenfalls die Mobilitätswende und Erreichung der Klimaziele. Der technische Fortschritt sowie der Einsatz von alternativen bzw. synthetischen Kraftstoffen stehen auch hier im Fokus (online nachzulesen unter www.arboe.at/mobilitaet-2030).
-CJB
„Müssen vorhandene Ressourcen nützen“
Interview. netER-Mitbegründer Univ.-Prof. Dr. Georg Brasseur über E-Mobilität und Antriebstechnologien.
FREIE FAHRT: Herr Professor Brasseur, warum sprechen Sie bzw. netER von Defossilisierung und nicht von Dekarbonisierung?
Georg Brasseur: Von Dekarbonisierung zu sprechen ist nicht die Wahrheit, denn diese Diktion verteufelt Kohlenstoff. Der ist aber essenziell wichtig! Atomar an Kohlenstoff gebundener Wasserstoff hat sich seit drei Milliarden Jahren als Energieträger der Natur bewährt. Kohlenhydrate sind wunderbare Energieträger, auch wir Menschen funktionieren auf dieser Basis. Daher ist der Terminus Dekarbonisierung völlig unsinnig.
Können Sie das bitte näher erklären?
Die Natur bindet Wasserstoff, den für alle Lebewesen wichtigsten Energieträger, entweder an Stickstoff (dann sprechen wir von einem Ammoniakstoffwechsel wie z. B. Cyanobakterien) oder an Kohlenstoff. Das sind wir. Die atomare Bindung von Wasserstoff sorgt für eine ausreichende Energiedichte, nur so werden aus flüchtigen Gasen Kohlenhydrate: Alkohole, Zucker, Kohlenhydrate, Ammoniak, Methan, Methanol – aber auch synthetische Kohlenwasserstoffe usw. Das alles ist chemisch ziemlich dasselbe: nämlich eine Verbindung von Kohlenstoff mit Wasserstoff oder Stickstoff.
Bleiben wir bei den synthetischen Kraftstoffen, den sogenannten Synfuels. Ist das ein Energieträger der Zukunft?
Ja, auf alle Fälle! Synfuels ersetzen Erdöl als Rohstoffquelle. Sie entstehen etwa aus Biomasse, dann sprechen wir von Biokraftstoffen. Diese sind bereits jetzt unseren Kraftstoffen an der Tankstelle zu fünf bis zehn Prozent beigemengt und werden zumeist aus Raps hergestellt. Doch um mit weiteren Monokulturen nicht die Biodiversität zu gefährden, sollten wir verstärkt auf Biomüll für die Produktion von Biogas setzen.
Welche anderen Arten an Synfuels gibt es sonst noch?
Auch Methan, Methanol, Ethanol, Ammoniak usw. sind Synfuels. Sie können sogar eine Leistungssteigerung im Verbrennungsmotor bewirken und wären bereits jetzt in modernen Autos anwendbar. E-Fuels werden im Power-to-LiquidVerfahren mittels Grünstrom klimaneutral direkt aus atmosphärischem Kohlendioxid gewonnen; SolarFuels aus konzentrierter Solarwärme (Sun-to-Liquid). Auch grüner Wasserstoff lässt sich chemisch mit biogenem Kohlenstoff oder Stickstoff in Synfuels binden. In dieser Form kann der modifizierte Wasserstoff sehr gut transportiert werden – und hat als Energievektor die gleichen Eigenschaften wie fossile Treibstoffe. Für biogene synthetische Kraftstoffe gibt es derzeit Versuchsanlagen in Patagonien, sie haben absolut Zukunft! Erste Anwender werden Flugzeuge und Schiffe sein.
Warum sprechen Sie sich gegen E-Autos aus? Sind E-Autos tatsächlich kontraproduktiv für die Energiewende?
Hier muss man strikt unterscheiden: in batterieelektrisch betriebene Fahrzeuge – und in E-Autos mit elektrischem Antriebsstrang. Erstere wären erst dann sinnvoll, wenn der stark gesteigerte Strombedarf der Zukunft zu 100 Prozent grün wäre. Es gilt, zuerst Ökokraftwerke mit ausreichender Leistung aufzubauen – und erst dann E-Autos zu fördern. Allerdings wird Europa selbst niemals ausreichend Ökostrom produzieren können! Unsere Bundesregierung aber setzt sinnloserweise auf batterieelektrische Mobilität.
Warum sind Autos mit elektrischem Antriebsstrang besser?
Es geht hier um die Frage der Energiee½zienz: Der Antrieb muss in Zukunft unbedingt elektrisch sein! Die Energiebereitstellung darf aber nicht über Batterien erfolgen (übrigens: Lithium-Ionen-Akkus sind ein Verbrechen an der Umwelt!), sondern aus einem wesentlich dichteren Energieträger wie Synfuels. Elektrische Energie muss direkt an Bord bereitgestellt werden, etwa durch Methanol-Brennstoffzellen. Aber das ist Zukunftsmusik.
Und Wasserstoff-Autos?
Ja, die funktionieren an sich gut – sind aber leider unpraktikabel und die ersten Projekte wurden bereits aufgegeben. Das Problem ist die H2-Infrastruktur: Wasserstoff hat eine sehr geringe volumetrische Energiedichte, ist extrem schlecht zu speichern und muss für den Transport stark komprimiert oder verflüssigt werden (mittels Kühlung auf –256 °C). Die benötigte Transport- und Verteilinfrastruktur müsste europaweit erst aufgebaut werden – und wäre mit enormen Treibhausgasemissionen und Kosten verbunden. Für Pkw funktioniert das leider nicht! Erfolgversprechender ist grüner Wasserstoff für den Schwerverkehr (40-Tonner), allerdings nur, wenn eine möglichst lokale Herstellung gelingt. Da gibt’s bereits erste tolle Projekte wie z.B. bei MPREIS oder Thöni in Tirol. Zukunftsfähig wäre in meinen Augen eine faire Kooperation mit den sonnenreichen Ländern des globalen Süden: Sie könnten aus grünem Wasserstoff gut transportier- und speicherbare synthetische Kraftstoffe herstellen.
Was ist die Antriebstechnologie der Zukunft?
Für die fernere Zukunft der Methanol-Brennstoffzellenmotor, doch da gibt es noch keine Energievektoren. Für die nahe Zukunft: Ich bin ein Fan davon, Verbrennungsmotoren nur im Bestpunkt zu betreiben inklusive Abgasenergie-Rückgewinnung. Letzteres ist für mich das Zauberwort. Diese FuelconverterGeneratoren sind eine großartige Brückentechnologie mit hervorragender Kraftstoffnutzung. Feinste Ingenieurleistung aus der Formel 1. Aber hier ist die Politik säumig. Und die Automobilindustrie unterstützt das, was die Konsumenten wollen – und das sind leider unsinnig große, schwere SUV!
Eine Frage aus der Sicht des verunsicherten Konsumenten, dessen Auto gerade in die Jahre gekommen ist. Wie soll er vorgehen?
Er soll das alte Auto möglichst lange halten und reparieren. Wir müssen die vorhandenen Ressourcen nutzen, um Energie zu sparen. Dazu gehört auch ein pfleglicher Umgang, also mit kaltem Motor nicht gleich Vollgas geben. Ein häufiger Ölwechsel tut dem Motor gut – und das Altöl wird recycelt.
Und was würden Sie jetzt bei einem Neukauf empfehlen?
Ganz eindeutig: einen kleinen Diesel! Der ist mit Abstand am effizientesten, speziell im Teillastbereich des Stadtverkehrs. Rußfilter und die großartige AdBlue-Technologie machen Diesel-Pkw mittlerweile extrem sauber. Für einen geringen Verbrauch bitte ein möglichst leichtes Fahrzeug mit geringem Luftwiderstand wählen. Wir sollten wieder zu leichteren Autos kommen: Der Golf hatte schon mal 800 Kilogramm, jetzt wiegt er das Doppelte.
Zum Abschluss eine persönliche Frage: Welches Auto fahren Sie?
Einen 3er-BMW Baujahr 2014. Zur Ressourcenschonung kaufe ich immer gebrauchte Autos. Ich bin glücklicherweise in der Lage, sie selbst zu reparieren. Meine Tochter fährt meinen abgelegten, über 20 Jahre alten 3er-BMW. Und der rennt und rennt und rennt ...
Der emeritierte Univ.-Prof. Georg Brasseur leitete das Institut für elektrische Messtechnik und Sensorik an der TU Graz, war Präsident der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und beschäftigte sich
in seiner jahrzehntelangen Zusammenarbeit mit dem steirischen Automobil-Cluster
intensiv mit Verbrennungsmotoren und Mobilität.