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„Kindergerechter Verkehr statt verkehrsgerechte Kinder“

Im Interview: Klaus Robatsch - Der Leiter der Verkehrssicherheitsforschung im KFV zu Sicherheitsbewusstsein und Unfallursachen im Straßenverkehr.

Freie Fahrt: Das KFV feiert heuer sein 60-jähriges Bestehen. Wie hat sich das Sicherheitsbewusstsein in den vergangenen Jahrzehnten verändert?

KLAUS ROBATSCH: Hier hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten viel getan, wie das Beispiel Gurt gut zeigt: Der Griff zum Gurt ist heute selbstverständlich. Das war nicht immer so – als sich das Kuratorium für Verkehrssicherheit für die Einführung der Gurtpflicht starkmachte, erntete es dafür zunächst Gegenwind. Heute wissen wir, dass der Gurt tagtäglich unzählige Leben rettet.

Kann man für das Jahr 2019 schon eine erste Zwischenbilanz ziehen?

Im Verkehr ist die Zahl der Verkehrstoten in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen: So starben zu Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1961 noch 1640 Personen auf Österreichs Straßenverkehr, im vergangenen Jahr lag die Zahl der tödlich Verunglückten bei 409 Personen. Das zeigt deutlich, wie gut Prävention und zielgerichtete Maßnahmen wirken. Gerade im Hinblick auf die ungeschützten Verkehrsteilnehmer gibt es jedoch nach wie vor noch viel zu tun.

Wo liegt Ihrer Meinung nach der dringlichste Handlungsbedarf in Sachen Verkehrssicherheit?

Zuletzt stark gestiegen ist die Zahl der Kinderunfälle im Straßenverkehr. Mindestens elf Kinder sind im heurigen Jahr im Straßenverkehr bereits tödlich verunglückt. Hier lautet die klare Botschaft des KFV: Wir brauchen einen kindergerechten Verkehr, keine verkehrsgerechten Kinder!

Ablenkung und das Handy am Steuer zählen zu den häufigsten Unfallursachen. Wie wollen Sie diesem Trend entgegenwirken?

Kinder sind die Pkw-Lenker von morgen – und als Fußgänger auch jetzt schon im Straßenverkehr unterwegs: Deshalb gilt es hier bereits im Volksschulalter im Rahmen der Verkehrs- und Mobilitätsbildung Sensibilisierungsmaßnahmen zu setzen und entsprechende Verhaltensregeln zu etablieren. Und auch bei Erwachsenen stehen bewusstseinsbildende Maßnahmen hier an erster Stelle.

Wie weit können moderne Assistenzsysteme und künftige Technologien (autonomes Fahren) Ihrer Meinung nach das Unfallrisiko positiv beeinflussen?

Was den Personenverkehr anbelangt, sind Pkw-Fahrer seit Jahrzehnten die Verkehrsteilnehmergruppe, die am häufigsten an Unfällen mit Personenschaden beteiligt sind. Insofern gilt es insbesondere hier anzusetzen, um die Verkehrssicherheit nachhaltig zu erhöhen. Die Hauptursache von Unfällen mit Personenund/oder Sachschaden ist dabei menschliches Versagen.

Nicht ohne Grund setzt daher die Automobilindustrie schon seit Jahren verstärkt auf Fahrerassistenzsysteme, die kritische Situationen frühzeitig erkennen, vor Gefahren warnen und wenn nötig auch aktiv eingreifen. Untersuchungen zeigen, dass bei einer Durchdringungsrate von 100 Prozent z.B. durch den intelligenten Geschwindigkeitsassistenten 21 Prozent aller im Zuge von Pkw-Unfällen getöteten Personen reduziert werden könnten.

Betrachtet man das Potenzial aller Fahrerassistenzsysteme, können bis zu 50 Prozent der Pkw-Unfälle und bis zu 22 Prozent der Lkw-Unfälle positiv beeinflusst werden.

Wo sehen Sie das KFV in sechzig Jahren, wenn durch den vollautonomen Verkehr die Unfallzahlen auf nahezu null sinken könnten?

Wie schon in den vergangenen 60 Jahren werden sich die Aufgabengebiete stets weiterentwickeln, das Ziel wird aber dasselbe bleiben: Das KFV wird weiterhin relevante Maßnahmen zur Erhöhung und Beibehaltung der Verkehrssicherheit entwickeln und umsetzen. Selbst wenn Fahrzeuge durch Automatisierung nahezu unfallfrei unterwegs sein könnten, gibt es immer noch andere Verkehrsteilnehmer, wie Fußgänger und Radfahrer, denen in diesem Szenario erhöhte Aufmerksamkeit zuteil werden wird.

Das KFV widmet sich deshalb auch in den nächsten 60 Jahren voll und ganz der Aufgabe, Antworten auf aktuelle Entwicklungen und Fragestellungen der Unfallprävention zu geben.

Vielen Dank für das Gespräch.