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Verkehr findet Stadt

Städtevergleich.

Wie fließt der Verkehr in Europas Hauptstädten? Gibt es Lösungsansätze für eine nachhaltige Mobilität? Fünf verschiedene Metropolen in fünf Ländern im Kurzporträt von EAC-Mitarbeiter Gerrit Reichel.

 

Wien: Zahlreiche Herausforderungen
 

Wien gilt in Europa als Vorzeigestadt, wenn es um intelligente Mobilitätslösungen geht. Doch auch in der Zwei-Millionen-Metropole knirscht es bei der Verkehrswende.

Die Stadt will einerseits nachhaltig wachsen und die hohe Lebensqualität sichern, andererseits aber den Autoverkehr reduzieren. Eine der radikalsten Maßnahmen: Um Pendler mit Auto aus der Stadt zu halten, wurde ein einheitliches Parkraummodell mit kostenpflichtigem Anwohner-Parkpickerl eingeführt. Dadurch steigen immer mehr Menschen gezwungenermaßen auf die Öffis um. Der Verwaltung zufolge werden allein im Westen Wiens bis zu 8000 Pkw-Fahrten pro Werktag vermieden. Seitdem sind der Parkplatzsuchverkehr und die Zahl der Falschparker stark gesunken, die Öffis kommen schneller voran. Neue Straßen braucht die Stadt dennoch.

Ein besonders herausforderndes Projekt ist die Fertigstellung der Nordostumfahrung inklusive einer Stadtstraße und neuer S-Bahnspange. Die Umfahrung soll nicht nur den Durchgangsverkehr an der Stadt vorbeilenken, sondern sich auch auf die Anbindung des seit vielen Jahren geplanten neuen Stadtteils Seestadt auswirken. Wegen eines politischen Kompetenzgerangels stockt die Umsetzung allerdings. Der Bund, allen voran die grüne Bundesministerin, hätten sich quergelegt, klagt Josef Taucher auf Nachfrage der europäischen Automobilclubs im EAC. Taucher ist Vorsitzender des Landtagsklubs der Wiener SPÖ, sie stellt die stärkste Fraktion im Gemeinderat der Stadt. Für den Politiker ist der Bau der Nordostumfahrung unverzichtbar: „Das ist eine wichtige Mobilitätsader, die das Grundbedürfnis der Menschen nach Mobilität abdeckt, eine wichtige Infrastrukturmaßnahme, nicht bloß eine Autoverkehrsmaßnahme.”

Und er fügt hinzu: „Für ein gutes Leben wird es auch in Zukunft Straßen brauchen.”

Wien in Zahlen:

Einwohner: 1,9 Mio
Fläche: 415 km2
Fahrzeugbestand: 891.000 (11.600 E-Autos)
E-Ladeinfrastruktur:            1700-2300 Ladepunkte

 

 

Brüssel: Viel zu tun
 

Brüssel galt lange als Stau-Hauptstadt Nr. 1 in Europa, Autofahren und -parken bereitet dort keine Freude.

Unzählige Baustellen stören den Verkehrsfluss. Eine bessere Wahl sind die öffentlichen Verkehrsmittel, die überwiegend sauber und zuverlässig verkehren. Die Anbindung per Fernzug gibt dagegen oft Anlass zur Kritik: Der Thalys ist oft stark verspätet, bei unserem Besuch mehr als eine Stunde. Radfahrer haben im Zentrum eigene Fahrspuren, leider oft in schlechtem Zustand. Zu kämpfen hat Brüssel mit einer hohen Zahl Verkehrsunfällen, europaweit rangiert die Stadt unter den Top 10.




Brüssel in Zahlen:

Einwohner: 1,2 Mio
Fläche: 162 km2
Fahrzeugbestand: 178.000
E-Ladeinfrastruktur:            385 Ladepunkte

 

 

Bratislava: Wachsender Verkehr und schlechte Luft
 

Die malerische Lage Bratislavas an den Ufern der Donau täuscht: Die Stadt ächzt unter einem enormen Verkehrsaufkommen.

Einerseits haben die Einwohner ein hohes Mobilitätsbedürfnis, zudem stellt der Transitverkehr eine große Belastung dar. Aus 17 weit verzweigten Stadtteilen pendeln die Slowaken täglich ins Zentrum ihrer Hauptstadt, die Hälfte von ihnen mit dem eigenen Auto. Hinzu kommt der intensive LkwVerkehr auf der Nord-Süd-Achse von Polen nach Ungarn.

Von der Luftqualität her ist Bratislava Risikogebiet. Drei Autobahnbrücken spannen sich im Stadtgebiet über die Donau. Nachhaltiger Verkehr hat nach Einschätzung der ersten stellvertretenden Bürgermeisterin Tatiana Kratochvílová bislang keine große Priorität, weder in der Politik, noch in der Bevölkerung. Für Elektroautos gibt es keinerlei Kaufanreize vom Staat; Autos dürfen auf dem Gehweg parken und verstopfen die Quartiere. Ein einheitliches Parkraumkonzept ist gerade erst im Aufbau. Haushalte mit drei Fahrzeugen sind keine Seltenheit: Auf 1000 Einwohner kommen im Schnitt rund 700 Autos.

Im Gespräch mit dem EAC bekräftigt die Bürgermeisterin gleichwohl, den motorisierten Individualverkehr reduzieren und den öffentlichen Verkehr fördern zu wollen. Die städtischen Verkehrsbetriebe Dopravny podnik Bratislava (DPB) haben eine lange Tradition mit Oberleitungsbussen.

Große Hoffnung setzen die Slowaken in Züge mit Brennstoffzellenantrieb. Im Mai 2022 fuhr erstmals der Coradia iLint von Alstom durch die Hauptstadt, ein CO2-emissionsfreier Regionalzug. Entwickelt wurde er in Salzgitter und Tarbes (Frankreich). Eine Modernisierung der Bahn ist dringend erforderlich, der Zustand von Fahrzeugen und Schienennetz ist nach Aussage des slowakischen Verkehrsministeriums „katastrophal”.


Bratislava in Zahlen:

Einwohner: 450.000
Fläche: 368 km2
Fahrzeugbestand: ca. 500.000 (3147 E-Autos)
E-Ladeinfrastruktur:            353 Ladepunkte

 

 

Berlin: Schmuddel-S-Bahn & Sharing
 

Die deutsche Hauptstadt bietet einen extrem breiten Mobilitätsmix.

Das sieht jeder, der am Hauptbahnhof ankommt: Ein wildes Gewusel aus Sharing-Fahrzeugen aller Klassen macht das Durchkommen schwer. Autos werden zunehmend zurückgedrängt zugunsten von Popup-Bikelanes und Fußgängerstraßen. Leider fehlt im Gegenzug vielerorts eine attraktive Anbindung der Außenbezirke. Vom Schmuddel in den S-Bahnen ganz zu schweigen. Elektromobilität gehört längst zum Alltag, vom kleinen Stehroller über Lastenpedelecs bis zum Lieferwagen.


Berlin in Zahlen:

Einwohner: 1,9 Mio
Fläche: 415 km2
Fahrzeugbestand: 891.000 (11.600 E-Autos)
E-Ladeinfrastruktur:            1900-2500 Ladepunkte

 

 

Banja Luka: Grenz-Probleme
 

Zum Staatengebilde Bosnien Herzegowina gehört die Republik Srpska mit ihrer Hauptstadt Banja Luka. Mit dem Auto aus der EU in den Balkanstaat zu reisen erfordert viel Geduld und eine gewisse Abenteuerlust. Hinter der Grenze warten weitere Überraschungen.

Wer bei Gradisˇka die EU-Außengrenze überschreiten will, braucht starke Nerven. Die E661 endet abrupt an einer schmalen alten Brücke über die Save, dem Nadelöhr für die Fahrt von Kroatien nach Srpska. Die kroatischen Zöllner lassen es aufreizend langsam angehen. Hat man es nach stundenlangem Warten endlich über den Fluss geschafft und zuckelt durch die enge Ortsdurchfahrt, reibt man sich verdutzt die Augen: Einen Steinwurf entfernt wäre eine neue Autobahn befahrbar, mit großzügig ausgebauter Grenzstation. Doch auf kroatischer Seite fehlen ein paar Kilometer Straße für den Anschluss – offenkundig weil es am politischen Willen für die ertigstellung mangelt.

Nedeljko Coric, Minister für Verkehr und Kommunikation der Republik Srpska, weiß um das Problem. „Eine hochwertige Straßeninfrastruktur ist die Grundlage für die Verbesserung des Handelsaustauschs mit der Europäischen Union”, gibt er zu Protokoll. Lösen kann er das Grenz-Problem offensichtlich nicht. Dabei hat die Republik Srpska ein erstaunlich gut ausgebautes Autobahnnetz. Erst kürzlich wurden neue Verbindungen nach Banja Luka fertiggestellt, die dem EU-Standard in nichts nachstehen. Die Infrastruktur für Elektromobilität ist dagegen extrem schlecht. Nachholbedarf gibt es auch bei der Bereitschaft, den Gurt anzulegen, die Quote liegt bei 70 Prozent.


Banja Luka in Zahlen:

Einwohner: 185.000
Fläche: k. A.
Fahrzeugbestand: 82.000 (72 E-Autos)
E-Ladeinfrastruktur:            5 Ladepunkte