Reisen und Freizeit
Schwesternstädte und Schmugglergeschichten
Dereinst war es „unser“ Görz: Im Spätmittelalter ging die gleichnamige Grafschaft an die Habsburger und war (mit kurzer Unterbrechung) bis 1918 Teil der österreichisch-ungarischen Küstenländer an der Adria. Um 1900 sorgte ein k.k. Eisenbahninvestitionsprogramm mit Zugverbindungen nach Wien und Süddeutschland für wirtschaftlichen Aufschwung in und um die Stadt Görz. Reiche und Noble strömten herbei und mmachten die Region zu einem mondänen Reiseziel.
Die Glanzzeit endete abrupt: Nach dem Wahnsinn des Ersten Weltkriegs ging Görz 1919 ans Königreich Italien; nach dem Zweiten Weltkrieg fielen weite Teile des Hinterlandes sowie ein Eckerl der Stadt Görz an Jugoslawien. Ein gewaltsamer, linealgerader Schnitt teilte den urbanen Raum: Das historische Zentrum wurde zum italienischen Gorizia. Mauern und Maschendrahtzäunen trennten (ähnlich wie in Berlin) das sozialistische Gegenüber Nova Gorica ab. Die Staats- und Ideologiegrenze verlief mitten durch Häuser und Küchen. In so manchem Stall fraßen Kühe hüben, ihre Ausscheidungen landeten drüben.
Aus dem östlichen Städterest erwuchs nach Entwürfen von Architekt Edvard Ravinkar (ein Schüler von Le Corbusier) Nova Gorica: als modernistische, wie ein Park mit viel Grün angelegte Planstadt. Der Aufbau mit gewaltigen Betonkästen („Russenblöcke“) zog Arbeiter aus ganz Jugoslawien an, es herrschte Aufbruchstimmung. Doch bis zur Gründung Sloweniens 1991 blieb die Stadt samt herrlichem Hinterland mit den Obst- und Weingärten der Brda (Collio), der Vipava (Vipacco/Wippachtal), dem smaragdgrünen Fluss Soča (Isonzo), dem geheimnisvollen Karst und der Adriaküste abgeschottet. 2007, mit Sloweniens Beitritt zum Schengen-Raum, war endlich auch mit den Grenzkontrollen Schluss.
Langsam näherten sich die beiden ungleichen Städteschwestern mit vier Sprachen (Italienisch, Slowenisch, Deutsch und Friulanisch) an. „Bis Covid“ erzählt Nova Gorica-Bürgermeister Samo Turel. „Da mussten wieder Absperrungen her! Ich konferierte mit meinem italienischen Kollegen im Freien durch Maschendraht hindurch.“ Die Bevölkerung bewies ebenfalls Humor und spielte über den Zaun Volleyball.
Grenzenlos. Die Grenze gehört hoffentlich endgültig der Vergangenheit an. „GO! 2025, Nova Gorica – Gorizia: Europäische Kulturhauptstadt 2025“ treibt unter dem Motto „borderless“ die Einigung der im Entstehen begriffenen gemeinsam Stadt weiter voran. Es handelt sich um die erste grenzüberschreitende Kulturhauptstadt. Ursprünglich bewarb sich Nova Gorica, Gorizia sagte auf höfliche Einladung sofort sein Mitwirken zu. 400 offizielle und rund 600 weitere Events präsentieren 2025 den verbindenden Kulturraum. „Die multiethnische Kulturhauptstadt ist ein Symbol der Komplexität der Europäischen Union. Wir sind Role Model für die EU“ erklärt Mija Lorbek, Direktorin von „Go! 2025“.
Bereits über den Eisernen Vorhang hinweg gab es mehr oder weniger (il)legalen Austausch: bei gemeinsamen Friedensmärschen und Sportevents und im Rahmen des Warenverkehrs. Das Schmugglerwesen blühte: Jugoslawien lieferte bäuerliche Produkte; Italien revanchierte sich mit Kaffee, Waschmittel, Kaugummi, Jeans und Baumaterial. Samo Turel erinnert sich: Als pumperlgesundes Kind musste er vor dem Grenzübertritt auf strenges Geheiß der Mutter Taschentücher einstecken. In Italien angekommen realisierte er, dass darin Lira für den Kauf von Badezimmerfliesen eingewickelt waren. Dem prägenden Thema Schmuggel wird bei „GO! 2025“ ein Museum sowie geführte Thementouren gewidmet.
Viel ist im Vorfeld des Kulturhauptstadtjahres geschehen. „Im Sinne der Nachhaltigkeit bauten wir nichts neu, sondern revitalisierten Bestehendes und weckten vernachlässigte Infrastruktur aus ihrem Dornröschenschlaf“ so Samo Turel. Die einstige Bahnlinie gefällt nun als grüne Oase, ein verlassenes Lagerhaus als europäisches Kulturzentrum EPIC.
„Das Programm ist bunt und umfasst alle Bereiche: Kunst, Musik, Theater, Tanz, Artistik, Kulinarik, Ausstellungen, Sport, Natur usw.“ erklärt Mija Lorbek. Die absoluten Höhepunkte sind: „Fledermaus-Symphonie“ im April (bioakustische Musik in Grad Rihemberk/Burg Reifenberg); Europawoche und Freundschaftsmarsch (in Zusammenarbeit mit der Kulturhauptstadt 2025 Chemnitz in Deutschland, 1. bis 9. Mai); Finale des Radrennens Giro d’Italia auf dem einst geteilten Bahnhofsplatz Trg Evrope/Piazza Transalpina (24. Mai); „Borderless Body“ im Juli (Tanz und Artistik); Kulinarik Tage „Genuss ohne Grenzen“ (26. bis 28. September), das Visavì Dance Festival im Oktober und die Abschlusszeremonie mit Weihnachts-Lichtermeer (3. bis 5. Dezember).
-CJB