Reisen und Freizeit

Vom Schnee bis zu den Palmen

Italien. Der Etsch-Radweg führt von den Alpen Südtirols bis zum Gardasee und Verona. Pedalritter genießen viel Abwechslung, Natur, Kultur und Dolce Vita. Und fast immer geht es bergab.

Die Kraftanstrengung dauert nicht lange: Vom Startpunkt des Etsch-Radweges am Reschensee (Südtirol) muss der Drahtesel gerade mal 120 Höhenmeter bis zur Passhöhe auf 1.505 Meter Seehöhe hinaufklettern. Danach geht es – mit Ausnahme kleiner Anstiege – nur noch bergab. Bis nach Verona auf nahezu Adrianiveau (60 Meter). Dazwischen liegen gut 300 abwechslungsreiche Rad-Kilometer: Die Tour der Gegensätze führt durch vielfältige Landschaftsformen und Kulturen – von den Tiroler Alpen bis ins mediterrane Venetien.

Treue Begleiterin am Weg ist die Etsch (Adige auf Italienisch – und somit Namensgeber von „Alto Adige“ für Südtirol). Der zweitlängste Fluss Italiens entspringt in den Ötztaler Alpen, wächst im Trentino und Veneto zu einem stattlichen Strom heran, bis er nach 415 Kilometern nasser Reise nördlich des Po-Deltas in die Adria mündet. Gleich nach dem Start des Etsch-Radweges präsentieren sich den Bikefreunden erste Highlights: Die Tour führt gemächlich dem Reschenstausee entlang, auf dem sich Kite- und Windsurfer tummeln. Doch was macht der Kirchturm mitten in den blitzblauen Fluten? Er ist der sichtbare Überrest des einstigen Dorfes Graun, das 1950 abgesiedelt und geflutet wurde.

Wer an einem kühlen Morgen startet, sollte sich nun warm anziehen: Die rasante Abfahrt führt mit bis zu 20 Prozent Gefälle hinunter ins Vinschgau, wie das Tal der jungen Etsch heißt. Aber man spürt: Mit jedem Höhenmeter bergab wird das Klima milder, bald sind die schier endlosen Apfelhaine von Glurns erreicht.

Glurns, die kleinste Stadt Südtirols, wird von einer mächtigen, vollständig erhaltenen mittelalterlichen Ringmauer samt Wohn- und Wehrtürmen umgeben. Der entzückende historische Ortskern aus dem 16. Jahrhundert lockt zu einer Pause. Im Oberen Vinschgau präsentiert sich der Etsch-Radweg besonders vielfältig: Mal folgt das verkehrsfreie Asphaltband dem Wasser, dann schlängelt es sich durch Apfel- und Weingärten, vorbei an entzückenden Städtchen und stolzen Festungen wie etwa Burgeis, die Fürstenburg, Burgruine Lichtenberg, die Churburg und die Schlösser Schlandersberg, Firmian, Goldrain, Kastelbell oder Juval. Weiters stets im Blick sind Berge, Gipfel und Gletscher.

Vor Algund überwinden kühne Doppelkurven eine Geländestufe – und schon ist das charmante Kurstädtchen Meran, in dem bekanntlich Kaiserin Sisi gerne weilte, erreicht. Hier laden Promenaden, Thermen, das Kurhaus und die Gärten von Schloss Trauttmansdorf ein.

Nun wird die Tour etwas eintöniger und folgt stets geradeaus dem Fluss, der Straße sowie der Bahn. Ab Bozen ist zusätzlich die Autobahn treuer Begleiter. Doch sie verläuft stets auf der anderen Flussseite als der baulich abgetrennte, gut markierte Radweg, stört also wenig. Für Konditionsstarke (oder Pedalritter mit E-Unterstützung) bietet sich bis Neumarkt (Egna) die weit schönere Variante über die weinselige Landschaft des Kalterersees an. Aber Achtung: Die Steigungen hinauf nach Eppan an der Weinstraße sind beträchtlich. Hier lädt Burg Hocheppan mit der „Sixtinischen Kapelle der Alpen“ ein.

Radeln mit Italoflair. Bei Salurn rollen die Radsportler in die Provinz Trentino ein, bis Trient sind es noch 24 Kilometer. Trient (Trento) wurde vor geraumer Zeit von den Italienern zur Stadt mit der höchsten Lebensqualität auserkoren. Prachtvoll sind der Domplatz, stolze Renaissance-Palazzi mit teils farbigen Fresken sowie Überreste aus der Römerzeit.

Nach Rovereto gibt es zwei Möglichkeiten: Weiter der Etsch bis Verona folgen – oder westwärts zum Gardasee abzweigen. Auch diese Bergwertung ist die landschaftlich weit bessere Wahl, auch wenn die Überwindung des Passo San Giovanni etwas Kondition verlangt. Dahinter empfängt der mediterrane Süden: Trockensteinmauern, Oleander, Zypressen, Olivenhaine und Palmen säumen den Weg.

Bei der Durchfahrt durch den Ort Nago liegt plötzlich der Gardasee zu Füßen. Die Aussicht ist grandios! In fröhlicher Abfahrt geht es hinunter nach Torbole und Riva am Nordende des Sees. Riva, einst Teil der Habsburgermonarchie, ist für viele das Ziel.

Nimmersatte Biker verlängern bis Verona. Diese laut Geheimrat Goethe „erste wirklich italienische Stadt“ ist bekanntlich Schauplatz der schönsten und tragischsten Liebesgeschichte der Welt und begeistert nicht nur mit dem Balkon von Romeo und Julia, sondern auch mit einer Altstadt voller kultureller Schätze und der weltberühmten Arena di Verona.

Besonders entspannt gestaltet sich die Etsch-Biketour, wenn man nicht auf eigene Faust losstrampelt, sondern sich für eine organisierte Radreise samt vorgebuchten Hotels und Gepäckstransport entscheidet. Derart unbeschwert – im wahrsten Sinn des Wortes – ist der Radgenuss noch schöner. 

-CJB